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Impuls zum 22. Januar 2023

Zum 3. Sonntag im Jahreskreis

Von Christine Hoffmann (Berlin), pax christi-Generalsekretärin 

Tagesgebet 

Allmächtiger, ewiger Gott, lenke unser Tun nach deinem Willen
und gib,
dass wir im Namen deines geliebten Sohnes
reich werden an guten Werken.
Darum bitten wir durch ihn, Jesus Christus.

Lesung aus Jesaia 9,1

Das Volk, das in der Finsternis ging,
sah ein helles Licht;
über denen, die im Land des Todesschattens wohnten,
strahlte ein Licht auf. 

Erinnerung an Nikolaus Groß 

Ich schreibe diesen Sonntagsimpuls auch in Vorbereitung einer Ansprache, zu der mich die Katholische Arbeitnehmerbewegung – KAB Berlin eingeladen hat und die ich am Sonntag, dem 22. Januar 2023 in der Gedenkstätte Plötzensee zu Ehren des seligen Nikolaus Groß halten werde. Unser Gebet am heutigen 3. Sonntag im Jahreskreis widme ich ganz dem Gedenken an ihn. 

Am 12. August 1944, gut drei Wochen nach dem Scheitern des Attentats auf Hitler, hatte die Gestapo auch den christlichen Gewerkschafter, gelernten Bergmann und von der Kraft des geschriebenen Wortes überzeugten Journalisten und Politiker Nikolaus Groß als Mitwisser des Umsturzplans festgenommen. Bis zuletzt gab Groß die Hoffnung auf Freiheit nicht auf. Aber die Nationalsozialisten fällten das Todesurteil über ihn. Vor 78 Jahren – am 23. Januar 1945 – wurde Nikolaus Groß in Berlin-Plötzensee hingerichtet. 

Nikolaus Groß schloss sich 1917 dem Gewerkverein christlicher Bergarbeiter Deutschlands an, 1918 der deutschen Zentrumspartei. Ab 1920 arbeitete er als Gewerkschaftssekretär zunächst in Oberhausen, dann in Schlesien und Sachsen und schließlich wieder im Ruhrgebiet, wo er geboren war. 1927 wurde er zunächst Hilfssekretär, aber schon bald Schriftleiter der Redaktion der westdeutschen Arbeiterzeitung und Verbandszeitschrift der KAB. Schon in der späten Weimarer Republik stellte er die Gefahren der nationalsozialistischen Ideologie heraus und bezeichnete die Nationalsozialisten als „Todfeinde des heutigen Staates“. 

1930 schrieb er: Wir lehnen als katholische Arbeiter den Nationalsozialismus, nicht nur aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, sondern entscheidend auch aus unseren religiösen und kulturellen Haltung entschieden und eindeutig ab. Nach 1933 bemühte er sich durch die Beiträge in der Zeitung gegen die Ansprüche des Nationalsozialismus zu immunisieren. Seine Kontakte zu den Widerstandskreisen, dem sogenannten Kreisauer Kreis, führten zur Anklage und zum Todesurteil. 

Im Jahr 2001 wurde Nikolaus Groß von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen. Menschen selig zu sprechen, was bedeutet das? Was ist das für ein Zeichen? Ist das nicht völlig aus der Zeit gefallen? Ich beantworte mir diese Frage so: die Seligsprechung von Märtyrern aus der Zeit des Nationalsozialismus sind Orientierungszeichen der katholischen Kirche. 

Jede Seligsprechung eines Menschen, der im Nationalsozialismus Widerstand geleistet hat, ist zugleich ein Anerkenntnis, dass fehlgeleitet war, wer keinen Widerstand geleistet hat. 

Das herausragende am Widerstand von Nikolaus Groß gegen das Unrechtsregime, den Antisemitismus, den Rassismus und die Diktatur der Nationalsozialisten wird sichtbar durch das Eingeständnis des Irrtums so vieler anderer und auch der Katholischen Kirche in Deutschland während des II. Weltkrieges. 

Denn – und da zitiere ich Worte des Priesters, früheren Soldaten im II. Weltkrieg und Geistlichen Beirats der pax christi-Bewegung Heinrich Missalla aus seinem letzten Brief an die katholischen Bischöfe, den er kurz vor seinem Tod schrieb: „Denn mit der Kirche hat eine anerkannte Institution des Widerstandes gegen die NS-Ideologie dennoch Hitlers Krieg unterstützt.“ 

Denn die patriotische Bereitschaft der katholischen Bischöfe, die materiellen, personellen und geistigen Ressourcen der Kirche für den Kriegseinsatz zu mobilisieren, blieb bis zum Ende des II. Weltkrieges ungebrochen. Allein der Berliner Bischof Konrad von Preysing verzichtete auf solche Mahnungen der Soldaten zu Gehorsam, Pflichterfüllung und Opfersinn und sprach die `Gefahren der Zeit´ an. 

So steckt in der Seligsprechung von Nikolaus Groß auch ein Schuldanerkenntnis, für das die Deutsche Bischofskonferenz in ihrem „Wort zum Ende des Zweiten Weltkrieges von 75 Jahren“ – also im Jahr 2020 – sehr deutliche Worte gefunden haben. Sie schrieben: „Indem die Bischöfe dem Krieg kein eindeutiges `Nein´ entgegenstellten, sondern die meisten von ihnen den Willen zum Durchhalten stärkten, machten sie sich mitschuldig am Krieg.“ 

Mit diesen Worten haben die Bischöfe einen wichtigen Beitrag zur historischen Wahrheit, zum Umgang mit dieser Vergangenheit und vielleicht auch zur Rückgewinnung verlorener Glaubwürdigkeit geleistet. 

Und was heißt das für uns? Was beschäftigt uns, wenn wir das Andenken an Nikolaus Groß ehren? Mir gibt das Gedenken an den Widerstandskämpfer Nikolaus Groß Orientierung, weil Nikolaus Groß selbst Orientierung hatte. Nikolaus Groß wusste, was er wollte. Er wusste, dass die Politik des Nazi-Regimes falsch war. Er wusste, mit welchen Menschen er zusammenarbeiten wollte und mit wem nicht. 

Für mich heute ist die Erinnerung an den Menschen Nikolaus Groß auch eine Aufforderung zur Orientierung in der Gegenwart. Zwei Themen, die uns diese Woche beschäftigt haben, möchte ich ansprechen. 

Was hätte der Gewerkschafter für Bergmänner Nikolaus Groß dazu gesagt, dass so viele Jahrzehnte nach seinem Tod in Deutschland zwar fünf Dörfer gerettet, aber das Dorf Lützerath, für den Abbau von Kohle im Tagebau abgebaggert wird? Hätte er sich das vorstellen können? Wir könnten jetzt trefflich darüber streiten, ob es politisch nicht trotzdem die richtige Entscheidung ist. Was mir eindeutig scheint ist, dass die jungen Menschen, die sich letzte Generation nennen und sich auf Autobahnen und anderswo festkleben und damit manchmal unseren Alltag chaotisieren einer klaren Orientierung folgen. Der Orientierung, die Bewahrung der Schöpfung höher zu setzen, als einen geregelten, pünktlichen Tagesablauf.  Ich bin davon überzeugt, dass der Widerstand dieser jungen Menschen unsere Solidarität mehr verdient als Hinweise auf durchverhandelte Prozesse und den doch acht Jahre vorgezogenen Ausstieg aus dem Kohleabbau.  

Nach Orientierung suchen wir auch auf dem Weg zu Frieden für die Ukraine und das Ende des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges von Putin-Russland gegen die Ukraine. Wir streiten trefflich über die Lieferung von Waffen. Wenn der Bundeskanzler zögert, sehen wir gerne darüber hinweg, dass er dies auch aus Sorge um die Eskalation dieses Krieges zum Einsatz von Atomwaffen hintut. Mich selbst zerreißt es, zwischen der Zustimmung zu militärischer Unterstützung der Selbstverteidigung der Ukraine und dem Wissen, dass jeder Tag dieses – wie jedes anderen – Krieges, Kinder traumatisiert, Frauen vergewaltigt, und Zivilist:innen und Soldat:innen getötet werden. 

Unsere Orientierung ist es doch, zukünftige Generationen von der Geißel des Krieges zu befreien, wie es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in die Charta der Vereinten Nationen geschrieben wurde. Mir hilft es, die Hilflosigkeit auszuhalten, meine Orientierung darauf zu richten, das internationale Recht zu stärken. Was schon gegen Hitler-Deutschlands Krieg gefehlt hat, fehlt uns auch heute gegen Putin-Russlands Krieg gegen die Ukraine: ein durchsetzungsstarkes internationales Recht, das den Angriffskrieg verurteilt und sofort stoppt. Bereiten wir die Zeit nach dem Ende von Putins Krieg gegen die Ukraine vor, wie der Kreisauer Kreis die Zeit nach dem Ende des Nationalsozialismus vorbereitet hat. Werden wir nicht müde auch zivile Instrumente zu schaffen und den Internationalen Gerichtshof zu stärken, um Kriege vermeiden und stoppen zu können. 

Das ist meine Orientierung für die Zukunft. 

Und nochmal zurück zu Nikolaus Groß, dem wir heute ehrend gedenken. An den Berichten über sein Leben, die ich gelesen habe, hat mich sehr fasziniert, dass er im Land herumgefahren ist, um mit Menschen zu sprechen, die nach dem Ende des Krieges bestimmte Rollen und Funktionen in einem neuen Staat übernehmen sollten. Er hat Menschen besucht, die bestimmte Kompetenzen haben und die genau an der richtigen Stelle stehen und dort ihre Fähigkeiten für ein gutes, neues, demokratisches Leben einsetzen sollten. Ich möchte Ihnen diese Suche mit auf den Weg geben. Und zwar als Frage an Sie selbst. Was ist ihre Kompetenz? Wo stehen sie an der richtigen Stelle? Was ist ihre Orientierung, die sie antreibt, im Leben mehr zu tun, als den Alltag zu bewältigen? Welche Kompetenz schlummert noch? Auf welches Ziel möchten Sie noch viel mehr, als sie es bis jetzt tun hinarbeiten? 

Gedenken wir in diesem Sinne heute und immer wieder des seligen Nikolaus Groß. 

Amen. 

Lied 

Von guten Mächten wunderbar geborgen 

https://www.ekd.de/Von-guten-Machten-wunderbar-geborgen-11493.htm

 

Dateien zum Download

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