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50er Jahre: Von Wallfahrten zu Straßenprotesten

Zum Friedensengagement der westdeutschen Katholiken in der Nachkriegszeit

Daniel Gerster

Das Leben als Katholik/in hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Obwohl Wissenschaftler bis heute darüber streiten, was genau Ursache und was Wirkung in diesem Prozess war, fallen einige Veränderungen  augenscheinlich in den Blick. Dazu zählen z.B. die verstärkte Hinwendung der Kirche zu gesellschaftlichen und politischen Themen und ein „Mündig-Werden“ ihrer Gläubigen. Beide Phänomene werden gemeinhin in enge Verbindung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und dessen Beschlüssen gebracht. Doch sie lassen sich nicht nur darauf reduzieren. Der Wandel, den die katholische Kirche - neben anderen religiösen Gemeinschaften - seit 1945 vollzogen hat, hat tiefere und grundlegende Triebfedern. Dafür spricht unter anderem die organisatorische Neuausrichtung: von der Gründung von Pfarr- und Diözesanräten über die Liturgiereform bis hin zu vermehrten Kirchenaustritten. Exemplarisch lässt sich diese komplexe Entwicklung anhand des katholischen Engagements in Fragen von Krieg und Frieden nachzeichnen.

Dazu zunächst ein paar grundlegende Überlegungen: Das Thema selbst war für die katholische Kirche nicht neu. Frieden ist ein wesentlicher Bestandteil der Botschaft Jesu – und die Auseinandersetzung darüber, wie dieser zu erreichen sei, von Anfang an genuiner Bestandteil des Christentums. Sowohl christlicher Pazifismus als auch christliche Kriegeslegitimation können auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblicken. Für das katholische Lehramt grundlegend war seit dem 19. Jahrhundert der Versuch, kriegerische Gewalt ethisch einzuhegen. Die hierfür herangezogene „Lehre vom Gerechten Krieg“ verfolgte das zentrale Anliegen, einen gerechten Verteidigungskrieg unter bestimmten Kriterien - gerechter Kriegsgrund, legitime Autorität, rechte Absicht – zu ermöglichen. Päpste, Bischöfe und mit ihnen weite Teile der katholischen Laien hielten an diesen Vorstellungen bis weit in das 20. Jahrhundert hin fest.

In der Zeit nach 1945 wurde diese Haltung jedoch durch verschiedene Entwicklungen in Frage gestellt. Zuvörderst standen zwei Ereignisse, die den Charakter und die Vorstellung von Krieg grundlegend wandelten: der Völkermord des Nazi-Regimes an den europäischen Juden und der Abwurf zweier Atombomben über Hiroshima und Nagasaki. Insbesondere die Atombombe nötigte jeglichem Denken und Reden über den Krieg eine völlig neue Perspektive auf: Die Tatsache, dass es der Menschheit nun technisch möglich war, die Erde und sich selbst innerhalb kürzester Zeit vollständig zu vernichten. Dieses Faktum schlug sich in einem weitverbreiteten Bedrohungsgefühl nieder, dessen Kehrseite ein verstärktes Sicherheitsbedürfnis darstellte. In der Bundesrepublik Deutschland, wie in anderen Ländern, führten die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die „richtige“ Abwägung von beiden zu bisweilen heftigen Diskussionen und zum Anwachsen sogenannter „Friedensbewegungen“. Diese waren Schmelztiegel verschiedener Friedensideologien und damit eine zusätzliche Herausforderung für die katholischen Diskussionen um Krieg und Frieden.

Atombombe und Friedensbewegung hinterließen auch im Friedensdiskussionen der westdeutschen Katholiken deutliche Spuren. Dies lässt sich anhand der Entwicklung von pax christi auf verschiedenen Ebenen beispielhaft nachzeichnen. Erstens kam es auf der inhaltlichen Ebene zu einer Preisgabe der genuin als katholisch verstandenen „Lehre vom Gerechten Krieg“. Da eine neue systematische katholische Kriegs- und Friedensethik durch das kirchliche Lehramt ausblieb, ist seit spätestens den 1980er Jahre eine deutliche katholische Vielstimmigkeit in der Frage zu vernehmen. Vor allem die pax christi-Plattform „Abrüstung und Sicherheit“ von 1980 setzte hier wesentliche Impulse. Sie ermöglichte nicht nur eine inhaltliche Annäherung an die Vorstellungen anderen, vor allem protestantischer, Friedensaktivisten, sondern betonte zugleich genuin katholische Sichtweisen. Dazu zählten die Sündhaftigkeit des Menschen als letzte Kriegsursache, aber auch die Hoffnung, durch eigene Tat und Gottes Gnade Frieden zu erreichen. pax christi beeinflusste mit seiner Schrift  nicht nur andere katholische Gruppen wie den BDKJ, sondern auch den Hirtenbrief „Gerechtigkeit schafft Frieden“ von 1983.

Eine zweite Entwicklungsebene, die sich anhand der katholischen Debatten um Krieg im Atomzeitalter festmachen lässt, bezieht sich auf den organisatorischen Wandlungsprozess, den die katholische in den vergangenen Jahrzehnten durchlaufen hat. Dieser findet auch deutlichen Niederschlag in Engagement der deutschen pax christi-Sektion. Stand bei der Gründung 1947 noch deutlich die Idee einer engen Anbindung an die kirchliche Hierarchie im Vordergrund, sind seit den 1960er Jahren zahlreiche Emanzipationsversuche festzustellen. Einen Höhepunkt erreichten diese Diskussionen über den Standort der Bewegung innerhalb der Kirche sicherlich in der Kontroverse um eine mögliche Abschaffung des bischöflichen Präsidenten 1986. Neben diesem Emanzipationsbemühungen wirkte auch die Frage nach politischem Engagement auf die Organisationsform der deutschen pax christi. Während der 1960er Jahre wusste man sich hierbei noch mit der Ausgründung des „Bensberger Kreis“ zu helfen, der sich zunächst vor allem Fragen des Ost-West-Konflikts annahm. In den 1980er Jahren gab es zwar ähnliche Vorgänge, beispielsweise die Gründung der Initiative „Christen gegen Atomrüstung“, prinzipiell politisierte sich jedoch das Engagement von pax christi in diesen Jahren. Dies belegt die Mitarbeit einzelner Mitglieder in der breiteren Friedensbewegung sowie die Teilnahme einzelner pax christi-Gruppen bei Protestmärschen.

Damit ist bereits eine dritte und letzte Ebene angesprochen, auf der sich die Auswirkungen der gesamtgesellschaftlichen Diskussionen um Krieg und Frieden im Atomzeitalter unter den westdeutschen Katholiken manifestiert: die Abkehr von religiösen Formen des Friedensengagements zugunsten politisierter Protestaktionen. Eine solche Entwicklung lässt sich gerade auch anhand von pax christi nachweisen. Seit der Gründung der Organisation in den Nachkriegsjahren standen vor allem religiöse Aktivitäten im Vordergrund. In Andachten und Wallfahrten sollte für Frieden und Versöhnung in Europa gebetet werden. Gleichwohl hatten auch diese Aktivitäten bereits eine politische Note. So initiierten die berühmten Routes der 1950er Jahre internationale Begegnungen, die jenseits des Gebets in den politischen und gesellschaftlichen Raum wirkten. Freilich ist dieses Engagement keineswegs mit der Teilnahme von Teilen von pax christi an den Friedensprotesten der 1980er Jahren zu vergleichen. Anstatt Monstranzen und Weihwasser hielt man nun Plakate hoch und setzte sich vor Wasserwerfer. Doch auch in diesen Jahren wurde die religiöse Dimension der Arbeit von pax christi nicht vernachlässigt. Welche Gewichtung beide – religiöses und politisches Engagement – einnehmen sollten, darüber wurde jedoch heftig gestritten.

Dies zeigte sich deutlich an der Frage, ob und in welcher Form, sich pax christi Deutschland an der Demonstration im Bonner Hofgarten vom Oktober 1981 beteiligen sollte. Während der Bundesvorstand seine Unterstützung und eine geschlossene Teilnahme von pax christi abgelehnt hatte, forderten einzelne Orts- und Bistumsgruppen eben dieses. Letztere sprachen sich folglich dafür aus, verstärkt Teil des politischen Protests zu werden, während der Vorstand die religiöse Dimension der Arbeit von pax christi hervorhob. Folge war eine Spaltung der Aktivitäten von pax christi: Während viele Mitglieder auf eigene Faust nach Bonn fuhren, lud das Präsidium an eben diesem Tag zu einem Kongress mit dem Thema „Frieden und Spiritualität“. – So tragisch diese innere Zerrissenheit für die Arbeit von pax christi in diesen Jahren gewesen sein mag, der Vorgang zeigt deutlich: pax christi und mit ihr weite Teile der westdeutschen Katholiken waren in einer pluralen und widersprüchlichen Welt angekommen! 

Daniel Gerster war Doktorand am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz (Italien) und promovierte dort über die Teilnahme der Katholiken der Bundesrepublik Deutschland an Diskussionen um Krieg und Gewalt für den Zeitraum 1957 bis 1983.

 

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