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Eskalation rassistischer Gewalt!

In der aktuellen Debatte über die Mordserie mit rechtsextremem und rassistischem Hintergrund wenden wir uns an Euch, um eine Debatte über Möglichkeiten und Wirksamkeit unseres Engagements gegen Rechtsextremismus anzustoßen und Handlungsperspektiven zu entwickeln.

Rechtsextremisten haben Menschen ermordet, die nicht in ihr Weltbild passen. Sie brüsten sich damit in ihrem eigenen Umfeld und nutzen ihre Taten, um ihre politischen Gegner einzuschüchtern. Ihre Umgebung hat vielleicht einiges gewusst, gebilligt oder sie unterstützt. Nachrichtendienste und Polizeien haben davon wenig oder nichts geahnt oder aber in ganz andere Richtungen ermittelt. Wir wissen nicht, ob es auch bewusstes Wegsehen gegeben hat. Das muss der eingesetzte parlamentarische Untersuchungsausschuss weiter aufzuklären.

Diese Serientat stellt einen massiven Unterschied zu früheren Ereignis¬sen dar. Für diejenigen unter uns, die z.B. in Projekten gegen Rechtsextremismus arbeiten oder sich schon länger gegen rechtes Gedankengut engagieren, ist das keine überraschende Erkenntnis, genau so wenig wie die Erfahrung, dass Sicherheitsbehörden und Justiz eine tendenziell geringere Aufmerksamkeit für politische Motive solcher Delikte haben und eher, besonders bei jugendlichen Tätern, eine allgemeine Gewaltbereitschaft annehmen. Ebenso führen Genehmigungsverfahren von Kundgebungen und Demonstrationen gegen Rechtsextremismus immer wieder zu dem Eindruck, dass Kritiker/innen und Gegner/innen des rechtsextremen politischen Spektrums als problematischer angesehen werden als die rechtsextremen Akteure selbst.

Somit trägt die aktuelle Rede von einer „neuen Qualität des Rechtsextremismus“ auch Züge der Rechtfertigung zurückliegenden Nichts-Tuns. Deshalb stehen wir der aktuellen Debatte skeptisch gegenüber und empfinden diese plötzliche eifrige Aktivität eher als Reaktion auf frühere politische Verharmlosung.

Die Täter der sogenannten Zwickauer Zelle konnten über zehn Jahre lang unbehelligt morden und Schrecken verbreiten, sie waren in der rechten und neonazistischen Szene verwurzelt und aktiv. Die fehlende Verfolgung dieser Verbrechen hat nicht nur sie ermutigt, weiterzumachen, sondern die gesamte rechte Szene hat von fehlender Aufklärung und geringem Widerstand profitiert. Nachdem diese rechtsextremen und rassistischen Hintergründe der Morde an neun Menschen, die in Deutschland lebten und arbeiteten, bekannt geworden sind, fragen wir uns, ob und wie wir dies in der pax christi-Bewegung wahrgenommen haben. Was uns aufschreckt, sind nicht nur die Fakten, sondern auch die Frage, ob wir etwas hätten beitragen können, solche politischen Motive und Tathintergründe eher zu vermuten, öffentlich zu benennen, politische Konsequenzen einzufordern oder Anforderungen an die Ermittlungsbehörden zu stellen.

Waren wir aufmerksam und aktiv genug?

Wenn Menschen, die diese rassistischen Verbrechen als solche erkannten und beispielsweise eine Demonstration organisierten, um die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, sollten wir uns fragen: War pax christi dabei? Konnten jene auf Rückhalt oder wenigstens aktive Begleitung aus kirchlichen Kreisen zählen oder vertrauen Menschen in der Kirche eher staatlichen Institutionen und ihren Erklärungen? Haben wir diese Hinweise ernst genommen? Oder müssen wir erkennen, faktisch auch zugelassen zu haben, dass in Deutschland Angehörige der Ermordeten wie Verdächtige behandelt wurden und zu ihrem Verlust noch das Misstrauen erdulden mussten, dass die Mehrheitsgesellschaft ihnen entgegenbrachte? Menschen, die sich aktiv gegen rechte Gewalt engagieren, werden bedroht. Es gibt „Steckbriefe“, im Internet werden Namen und Adressen veröffentlicht und zum Angriff auf aktive Antifaschisten, „Linke“ und „Islamfreunde” aufgerufen. Hier ist unsere Solidarität gefordert, damit sie nicht mit ihrer eigenen Angst und der um ihre Angehörigen alleine stehen. Denn sie sehen sich oft allein gelassen mit ihrer radikalen aber stimmigen politischen Analyse. Solche Angriffe trafen auch Menschen aus unseren Reihen. So hat ein Jugendseelsorger in Hessen mehrfach Anschläge auf sein Wohnhaus erlebt. Er ist kein Einzelfall, aber wenn doch die Übergriffe so nahe rückten, müssen wir uns fragen, ob es uns ausreichend alarmiert hat.

Geschichtsverzerrende Gleichsetzung

Dieser Rückblick ist auch Anlass, all denen unter Euch zu danken, die seit Jahren aktiv sind und mit anderen gemeinsam Gegendemonstrationen organisiert oder andere Aktionen initiiert haben, wo die rechte Szene durch Aufmärsche unsere Städte für sich reklamierte. Ein prominentes Beispiel dafür sind die jährlichen Versuche der organisierten rechten Szene Europas, am 13. Februar in Dresden ihr falsches Geschichtsverständnis zu zelebrieren. pax christi war und ist dort durch eine kleine aktive Gruppe vor Ort und die Sektion dagegen aktiv. Doch nicht unsere Aktionen haben 2010 den rechten Aufmarsch gestoppt, sondern jungen Menschen, die mutig zivilen Ungehorsam geleistet und die Straßen blockiert haben, ist dies gelungen. Die Polizei hörte ihre Handys ab, viele wurden wegen sogenannten Landfriedensbruchs angezeigt und zu Geldstrafen verurteilt. Stand pax christi offensiv solidarisch genug an ihrer Seite? Tragen wir oder unsere Kirche genügend zu Aufklärung in der Sache und aktivem Handeln vor Ort bei?

Exemplarisch sehen wir daran, wo unser Engagement möglicherweise fehlt. Wir fragen uns, ob nicht gerade dies und damit das Fehlen eines Signals „aus der bürgerlichen Mitte“ mit dazu beiträgt, dass unterschied¬liche Aktionsformen in der Öffentlichkeit gegeneinander ausgespielt werden. Die Bekämpfung von Extremismus wird so verstanden, dass Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus gleichgesetzt werden, ohne die historische Vorlage des Rechtsextremismus zu sehen. Die Politik macht es sich aus einer „Position der Mitte“ heraus einfach: „wir wollen Rechtsextremismus nicht mit Linksextremismus bekämpfen“, so Innenminister Friedrich. Diese Politik zeigt sich auch in der sogenannten Extremismusklausel des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, gegen die sich auch pax christi im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus ausgesprochen hat. Denn Projekte, die gegen Rechts kämpfen, müssen unterschreiben, dass sie und ihre Kooperationspartner nicht linksextrem sind, um finanzielle Förderung zu erhalten. Verfassungstreue ist gut, aber warum werden gerade die, die sich gegen Rechts engagieren, einer Verfassungsuntreue verdächtigt? Wäre vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte nicht das Gegenteil richtig?

Kein Platz für Rassismus – nirgendwo
In Deutschland hat auch eine „modernisierte“ rassistische Ideologie im Nationalsozialismus immer noch eine Vorlage. Könnte es sein, dass rassistische Motive von Gewaltdelikten daher weniger auffallen? Oder dass Islamophobie oder antisemitische Ressentiments eher als „normal“ gelten? Einwanderer aus islamischen Ländern, stehen zusätzlich unter Generalverdacht. Dies bekamen die Angehörigen der Ermordeten mit aller Härte und der Gründlichkeit deutscher Behörden zu spüren. pax christi rechnet es den heute politisch Verantwortlichen hoch an, dass sie dies erkannt und dafür Worte eines Schuldbekenntnisses gefunden haben.

Angesichts unserer Beobachtungen und Bewertungen wollen wir Euch ermutigen, genauer hinzusehen und nachzufragen, wenn schnelle Erklärungen von „Extremismus“, „Ausländer“ und griffige Bilder – wie „Döner-Morde“ u.ä. abgegeben werden. Die Diskriminierungen, die leicht als Fremdenfeindlichkeit oder Ausländerfeindlichkeit beschrieben werden, sollten wir noch deutlicher als Rassismus kennzeichnen. „Rassismus bedeutet die Überzeugung, dass ein Beweggrund wie Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethische Herkunft die Missachtung einer Person oder Personengruppe oder das Gefühl der Überlegenheit gegenüber einer Person oder Personengruppe rechtfertigt.“

Als gläubige Menschen sollten wir diese universale Betrachtung von Rassismus auch als eigene Position verstehen. 

Vizepräsidentin Wiltrud Rösch-Metzler
und Vizepräsident Johannes Schnettler