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pax christi

menschen machen frieden - mach mit.

Unser Name ist Programm: der Friede Christi. 

pax christi ist eine ökumenische Friedensbewegung in der katholischen Kirche. Sie verbindet Gebet und Aktion und arbeitet in der Tradition der Friedenslehre des II. Vatikanischen Konzils. 

Der pax christi Deutsche Sektion e.V. ist Mitglied des weltweiten Friedensnetzes Pax Christi International.

Entstanden ist die pax christi-Bewegung am Ende des II. Weltkrieges, als französische Christinnen und Christen ihren deutschen Schwestern und Brüdern zur Versöhnung die Hand reichten. 

» Alle Informationen zur Deutschen Sektion von pax christi

Russland - unser Feind oder Partner?

02. Dez 2019

"Von der Konfrontation mit Moskau zur gemeinsamen Sicherheit in Europa" - so der Titel der gut besuchten Diskussionveranstaltung mit Andreas Zumach am 26. November 2019.

pax christi griff ein heißes Eisen auf, das am Dienstagabend auf großes Interesse stieß - ca. 90 Gäste waren der Einladung in den Lesesaal der Stadtbücherei Münster gefolgt. Der Referent des Abends, Andreas Zumach, ist Schweiz-und UNO – Korrespondent für die Tageszeitung (taz) und Träger des Göttinger Friedenspreises 2009. Als Journalist war er hautnah dabei, als vor 30 Jahren die Berliner Mauer fiel und plötzlich auch eine friedliche Welt und eine kollektive Sicherheitsordnung in Europa eine realistische Option war, zumal der frühere Staatspräsident der Sowjetunion, Michail Sergejewitsch Gorbatschow, die Hoffnung auf ein gemeinsames „Haus Europa“ zum Ausdruck gebracht hatte. In Münster ließ Zumach in seinem engagierten Vortrag bei den Zuhörer*innen durch seine Schilderung der Begegnung mit den politisch Mächtigen der damaligen Zeit fast den Eindruck entstehen, als würden sie selbst mit dem amtierenden deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher im Flieger nach Ottawa sitzen. Dort trafen im Februar 1990 die Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, der DDR, Frankreichs, Großbritanniens, der UdSSR und der USA bei einem KSZE-Treffen zusammen und beschlossen die Aufnahme von Gesprächen über die „äußeren Aspekte der Herstellung der deutschen Einheit“.

Der gebürtige Kölner Zumach hatte in der westfälischen Friedensstadt ein Heimspiel, denn nur eine Frau im voll besetzen Saal hielt Russland für keinen geeigneten Partner für eine Zusammenarbeit mit Deutschland. Diese wiederum ist für den Menschenrechts-Aktivisten eine notwendige Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben der Nationen.

Andreas Zumach, Friedensaktivist, Journalist und Publizist, erinnerte zu Beginn seines Referats an wichtige historische Ereignisse der deutsch-russischen Geschichte der vergangenen 250 Jahre. Er unterstrich, dass der Westen immer nur so lange mit Russland kooperierte, wie es seinen Interessen diente. Bei aller Kritik an heutigen Menschenrechtsverletzungen in Russland, die er ausdrücklich missbilligte, habe aus seiner Sicht Deutschland aus drei Gründen eine besondere Verantwortung gegenüber Russland: Zuerst nannte Zumach den verbrecherischen Überfall auf Polen und später die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, der insgesamt 60 Millionen Menschenleben, darunter allein über 26 Millionen in der UdSSR (den größten Blutzoll zahlte die damalige Sowjetrepublik Ukraine), forderte. Als Zweites führte er den Siebenjährigen Krieg an, als von 1756 bis 1763 Preußen mit Großbritannien / Kurhannover auf der einen und der kaiserlichen österreichischen Habsburgermonarchie, Frankreich und Russland sowie dem Heiligen Römischen Reich auf der anderen Seite sich bekämpften. Alle europäischen Großmächte jener Zeit waren militärisch involviert. Drittens führte Zumach an, dass die mit Abstand meisten Atomsprengköpfe weiterhin in Europa, im Territorium  zwischen dem „Atlantik und dem Ural“, stationiert waren und sind.

Er selbst habe rund um den Mauerfall große Hoffnungen auf die kollektive internationale KSZE gesetzt, in der 35 Staaten aus beiden Blöcken und auch Blockfreie in Europa eng kooperierten. „Es gab tolle Pläne!“ Zumach unterstrich, dass heute niemand mehr ernsthaft daran zweifeln könne, dass Anfang Februar 1990  zunächst der amerikanische Außenminister James Baker und acht Tage später auch Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher in Moskau versprochen haben, dass es keine Osterweiterung der NATO geben würde. Für Kohl sei die KSZE „das Herzstück der europäischen Architektur“ gewesen. Bekanntermaßen wurde dieses Versprechen vom amerikanischen Präsidenten Georg Bush (Vater), der „Verlierern keine Geschenke machen wollte“, nicht geteilt und auf Wunsch der an Russland grenzenden Staaten später auch gebrochen.

Anschließend widmete sich Andreas Zumach der aktuellen Situation, wobei er den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland in den Mittelpunkt stellte. Er sei von Beginn an ein Gegner der auf amerikanisches Betreiben verhängten Sanktionen gegen Russland gewesen, denn diese hätten zwar die russische Wirtschaft geschädigt aber voraussehbar nicht zu einer Veränderung von Putins Politik in der Ukraine beigetragen. Unter Verweis auf öffentlich nahezu nicht kritisierte Völkerrechtsverletzungen des Westens (unter anderem nannte er den Luftkrieg der NATO zur Abspaltung des Kosovo von Serbien, den Irak-Krieg von 2003 oder die jüngste Anerkennung der illegalen  israelischen Siedlungen im völkerrechtswidrig besetzten Westjordanland durch die Trump-Administration) monierte Zumach die doppelten Standards der  westlichen Reaktionen auf die Annexion der Krim durch Russland. Er sieht aber in der unter dem neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj begonnenen Wiederaufnahme der Gespräche mit Moskau eine Entwicklung, die ihm Hoffnung mache und vorsichtige Zuversicht gäbe. Die jüngste Rückgabe der ukrainischen Kriegsschiffe durch Russland, die Umsetzung der Minsk-Vereinbarung über einen Gefangenenaustausch sowie die Einrichtung einer Sicherheitszone (Truppenentflechtung) im Donbass nannte er als Beispiele. Er äußerte die Hoffnung, dass beim kommenden Treffen der Regierungschef*innen aus der Ukraine, aus Russland, aus Deutschland und aus Frankreich am 9. Dezember in Paris noch weitergehende Deeskalationsschritte vereinbart und dann auch möglichst bald umgesetzt werden.

Für erstrebenswert hielt Zumach die Stationierung von UNO-Blauhelmsoldaten oder zumindest robusten Polizeiverbänden aus an dem Konflikt in keiner Weise beteiligen Staaten (Brasilien, Indien, etc.) im Donbass. Der Konflikt über die Krim müsse durch ein zwischen Moskau und Kiew einvernehmliches Verfahren beigelegt werden, etwa durch eine von der UNO und/oder der OSZE kontrollierte neue Abstimmung über die Zukunft der Krim. Dabei müsse auf dem Abstimmungszettel auch die Option eines Verbleibs der Krim in der Ukraine, allerdings mit einem möglichst weitgehenden kulturellen, administrativen und finanziellen Autonomiestatus gegenüber der Zentralregierung in Kiew stehen.

Die Moderation des Abends übernahm Maria Buchwitz von pax christi. In der abschließenden Diskussion kamen viele Nachfragen, die Zumach bis auf die Diskussion mit den Befürwortern der Zugehörigkeit der Krim zu Russland, zur Zufriedenheit der Nachfragenden klären konnte.

Aus dem Nähkästchen oder korrekt gesagt aus Hintergrundgesprächen in Berlin und anderen Regierungssitzen plauderte Andreas Zumach, als er verdeutlichte: „Regierungsverantwortliche sprechen öffentlich noch von der möglichen Aufnahme der Ukraine in die NATO oder auch die EU. Tatsächlich gehen sie aber davon aus, dass dies in den kommenden 40 Jahren nicht möglich sein wird.“

Zudem verdeutlichte der Publizist, dass die treibende Kraft hinter der Osterweiterung der NATO – neben diesen Staaten selbst – die US-amerikanische Rüstungsindustrie gewesen sei. Diese wollte ihre Waffen an die neuen NATO-Mitglieder aus Osteuropa verkaufen. Seine Hoffnungen auf eine friedliche Welt beruhe aber nicht allein auf den Regierungen: „Dazu brauchen wir eine engagierte Zivilgesellschaft, die friedenspolitisch und völkerverbindend aktiv ist – auch zum Beispiel in Polen.“ Er verwies auf die schwierige Situation der Friedensbewegung in Polen und äußerte die Hoffnung, dass gerade eine Friedensbewegung wie pax christi, die viele Kontakte in das Land hat, diese nutzen könne, um einen positiven Einfluss in Richtung Gesprächsbereitschaft mit Russland auszuüben.

Münster, 26. 11. 2019             Werner Szybalski