Situation der Flüchtlinge beiderseits der Grenze
13. Okt 2016
Thema dieses Lagerfeuerabends am 23. September war die Situation von Flüchtlingen an
beiden Seiten der Grenze in Ahaus und Enschede. Dazu waren zwei Referent*innen eingeladen. Carmen
Esposito-Stumberger vom Caritas in Ahaus und Joost Lefferts vom
Alifa-Flüchtlingswerk in Enschede.
Jan Schaake (Enschede voor Vrede)
Übersetzung: Manfred Laumann
Das
Flüchtlingslotsenprojekt in Ahaus
Carmen Esposito-Stumberger als Koordinatorin des Flüchtlingslotsenprojekts in Ahaus berichtete, dass zurzeit 119 Freiwillige als Lotsen (Begleiter) im Alter zwischen 16 und 80 Jahren aktiv seien. Diese begleiten 530 Flüchtlinge die sich aktuell in Ahaus befinden. Die Mehrzahl derer kommt aus Syrien, wobei der größte Teil aus alleinstehenden Männern besteht. Eine zweite Gruppe kommt aus Afrika und eine Dritte aus dem Balkan. Die letztgenannte Gruppe wurde überwiegend als Flüchtlinge nicht anerkannt und ist zurück im Land ihrer Herkunft.
Vor einem Jahr noch hatte Ahaus, so wie die meisten Gemeinden in Deutschland,
vor allem damit zu tun, dem großen Strom der Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf
zu verschaffen. Dieser große Zustrom ist nun vorbei und somit können sich die
Lotsen vornehmlich auf die Integration der Flüchtlinge konzentrieren, die hier
schon längere Zeit sind. Bei Kindern ist dies relativ einfach: sie gehen zur
Schule (es gibt in Ahaus zwei internationale Klassen) und machen dadurch
leichter Freunde. Für die Erwachsenen müssen Angebote gemacht werden wie z.B.
Sportvereine, Musikschule u.a.
Carmen Esposito-Stumberger macht sich etwas Sorgen bzgl. der Kontinuität
des notwendigen Flüchtlingsprojekts und dass das Thema „Flüchtlinge“ in den
Hintergrund geraten könnte. Die finanzielle Unterstützung aus der Bevölkerung
sei ungebrochen, jedoch stagniere sie und nehme in jedem Fall nicht zu, obwohl
die Freiwilligenarbeit auch zukünftig erforderlich bleibe und eigentlich noch
mehr Freiwillige gebrauchen könne. Das ganze Lotsenprojekt in Ahaus
funktioniere zwar, jedoch noch nicht auf dem wünschenswerten Niveau.
Die
Woche der Menschen auf der Flucht
In der vergangenen Woche, als in Enschede Veranstaltungen der nationalen Friedenswoche liefen, fand in Ahaus die „Woche der Menschen auf der Flucht“ statt. Carmen Esposito-Stumberger sei sehr beeindruckt gewesen, wie viele Schüler*innen dabei sehr berührt gewesen waren.
Manfred Laumann aus Ahaus ergänzte dazu, dass bei einem ökumenischen
Gottesdienst im Rahmen der „Woche der Menschen auf der Flucht“, bei dem ein „Lampedusa-Kreuz“ zentral
aufgestellt wurde, ca. 300 bis 400 Menschen gekommen waren. Bei einer anderen
Situation im Frühjahr dieses Jahres folgten rund 700 Menschen einem
Demonstrationsaufruf gegen Fremdenfeindlichkeit nachdem zwei Täter mit
Schusswaffen in eine Flüchtlingsunterkunft eingedrungen waren. An diesen Zahlen
könne man ablesen, wie es mit der Anteilnahme der Bevölkerung bestellt sei.
Musikalisches Intermezzo
Auch Peter Münster aus Ahaus, der zum dritten Male den Abend mit Liedern
zur Gitarre bereicherte, ergänzte, dass es in Ahaus eine Fahrradwerkstatt für
Flüchtlinge gebe, an der er selbst auch mitwirke, wo inzwischen rund 400 Fahrräder angeboten worden seien -
teils gute, teils reparaturbedürftige Räder.
Was die Liederauswahl angehe, müsse er gestehen, dass es nur wenige
Lieder in deutscher Sprache gebe zum Thema Flucht und Flüchtlinge. Das müsse zu denken geben.
Scheinbar wollen wir uns nicht damit identifizieren; wollen kein Flüchtling
sein. Das seiner Meinung nach noch meist passende Lied, das er gefunden habe,
ist: „Ich lebe noch“ von Wolf Biermann.
Das Alifa-Flüchtlingswerk in Enschede
Nach diesem musikalischen Intermezzo war die Reihe an Joost Lefferts. Er erzählte, dass er im vergangenen Jahr ein Praktikum beim Alifa-Flüchtlingswerk in Enschede gemacht habe und nun in fester Anstellung verantwortlich sei für die Koordination des Lotsenprojekts dieser Enscheder Organisation. Genau wie in Ahaus ist die größte Gruppe die der Syrer. Der größte Teil sei christlich-syrischer Herkunft, weil es seit Jahrzehnten in Enschede eine sehr große christliche Gemeinde aus Syrien gebe. Die Begleitung der neuen, aus Syrien stammenden, Flüchtlinge leistet diese Gemeinschaft. Hier hat Alifa also keine Betreuungsaufgabe.
Die zweite Gruppe sind moslemische Flüchtlinge aus Syrien. Sie können keinen Nutzen ziehen aus dem anderen Netzwerk, doch seien sie im Allgemeinen redlich westlich orientiert und könnten sich eigentlich recht schnell zurechtfinden.
Die dritte Gruppe um das sich das Lotsenprojekt kümmert besteht aus Flüchtlingen aus Eritrea. Die Integration dieser Gruppe sei schwierig. Zurzeit seien 25 Eritreer in Enschede und nur vereinzelt spricht jemand von ihnen eine internationale Sprache. Für diese Gruppe gibt’s nur einen Dolmetscher und das sei viel zu wenig. Vonseiten des Lotsenprojekts wird jetzt versucht, daraus eine Selbsthilfegruppe zu bilden, um sich gegenseitig besser unterstützen zu können.
Herausforderungen für die Gemeinde Enschede
Die Gemeinde Enschede (vier Mal größer als die Nachbargemeinde Ahaus) muss in diesem Jahr für 400 anerkannte Asylbewerber Wohnungen finden und vom Lotsenprojekt betreut werden. Das Alifa- Flüchtlingsprojekt hat dafür 15 Freiwillige zur Verfügung. Allerdings ist diese Personenzahl zu ergänzen mit Unterstützern aus der Diakonischen Plattform Enschede. Zwischenzeitlich gab es Pläne, eine neue Massenunterkunft für Flüchtlinge (600 Plätze) zu bauen. Wohl wegen des inzwischen abgenommenen Flüchtlingszustroms sind diese Pläne fallen gelassen worden. Gegen diese Pläne hatte es teils heftigen Widerstand gegeben, teils vonseiten aus der Enscheder Bevölkerung, teils aus anderen Landesteilen organisiert.
Rechte Tendenzen in den Niederlanden und Deutschland
In der Folgezeit wurde die Diskussion bestimmt durch die Feststellung,
dass durch Einwirkung von außerhalb von Enschede inhaltlich eine Rechtstendenz stattgefunden
habe. In Deutschland befänden sich im Lande rund 500.000 ausreiseverpflichtete
Personen. Darüber habe der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft von einer „Abschiebungsverhinderungsindustrie“
gesprochen.
Demgegenüber die vielen tausend Freiwilligen, die sich um das Los der Flüchtlinge kümmerten. Über diese Entwicklungen mit Rechtstendenz in beiden Ländern machten sich die Anwesenden große Sorgen bzgl. der Wahlen in 2017, die in beiden Ländern anstehen, vor allem wegen des Zuwachses von AfD und PVV. Was ist dagegen zu tun? Die allgemeine Rechtstendenz ist zu groß, um sie aus lokaler Perspektive zu bekämpfen, sagte der eine, während ein anderer gerade dazu ermunterte, lokale Initiativen zu entfalten um potentielle AfD- oder PVV-Wähler zurück zu holen.
Was tun gegen rechte Tendenzen?
Eine Frau aus Gronau arbeitet seit einiger Zeit in der Richtung der letztgenannten Alternative. Sie arbeitet mit Langzeitarbeitslosen, die Erfahrung im Schreiben von Bewerbungsbriefen sowie mit der Ausfüllung von Anträgen für das Sozialamt haben. Damit können sie ihrerseits Flüchtlingen zur Seite stehen. Dies führe zu Schicksalsverbundenheitsgefühlen und es käme zu netten Eins zu Eins Beziehungen.
Und was das Los von Ausreiseverpflichteten angeht: kürzlich holte die Polizei einen Flüchtling aus Ghana gewaltsam aus dem Kirchenasyl in Münster. Dadurch entstand so viel Protest aus der münsteraner Gesellschaft heraus, dass die Polizeiaktion abgebrochen wurde.
Die Probleme scheinen also viel zu groß für uns, doch als einfache Bürger sind wir sicher nicht machtlos, denn schaue um dich herum was du tun kannst und bleibe nicht auf dem Stuhl sitzen und beklage den Lauf der Welt die in falsche Richtung gehe.
Interreligiöse Konflikte
Es gibt jedoch etwas, worüber sich die Frau aus Gronau machtlos fühlte und das seien Aussagen mehrerer christlicher Flüchtlinge, die sie gehört habe: „Europa soll ausschließlich christliche Flüchtlinge hereinlassen und keine Moslems. Wir haben die Auswüchse der Islamisierung am eigenen Leibe erfahren und ihr Europäer steht dem viel zu naiv gegenüber.“
Die Frau sagte, dass sie versucht habe, dagegen anzureden, doch das habe keinerlei Effekt gehabt und sie schäme sich für die Aussagen von Glaubensgenossen. Kein einziger moslemischer Flüchtling habe zu ihr gesagt, dass ausschließlich moslemische Flüchtlinge aufgenommen werden sollten. Wie sei hiermit um zu gehen?
Ein anderer Anwesender der Runde wusste auch zu berichten, dass christliche Asylbewerber nicht selten durch eine moslemische Mehrheit in ihrer Umgebung der Unterbringung gestichelt, geschnitten, ausgeschlossen oder noch schlimmer behandelt würden.
Auch Simone Beike, die als Dozentin Deutschkurse und Integrationskurse in der Volkshochschule in Ahaus gibt, kennt die abweisenden Reaktionen christlicher Flüchtlinge gegenüber islamischen Schicksalsgenossen. Wenn man dann weiter durchfrage, erfahre man, dass sie während oder vorausgehend an ihre Flucht entsprechende traumatische Erfahrungen hätten machen müssen mit bestimmten islamischen Kämpfern und man solle deshalb nicht zu vorschnellen Urteilen kommen. Sie verglich dies mit der Generation der Niederländer, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg manchmal Jahrzehnte kein Deutsch mehr hätten hören konnten. Diese Prozesse brauchen Zeit und man könne nichts erzwingen.
Feierlicher Abschluss
Peter Münster sang zum Schluss das einzige englischsprachige Lied, das er hatte finden können: „Welcome to California“ über Flüchtlinge aus Mexiko, die die Grenze zu den Vereinigten Staaten passieren. Inzwischen war es vollständig dunkel geworden und die Teilnehmer ließen den Abend bei Kaffee, Tee und Wein ausklingen.