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Impuls zum 31. August 2024

Zum 22. Sonntag im Jahreskreis

Von Albert Hohmann (Föhren), pax christi Trier

Die Lesungen des Sonntags (hier ungekürzt wiedergegeben) lenken unseren Blick auf die Tora, die Weisung der hebräischen Bibel. Wir blicken auf diese Weisung inmitten einer gespaltenen Gesellschaft.

Gespaltene und aggressive Gesellschaft
Täglich hören wir von Hass, Hetze und auch Gewalt. Bevorstehende Wahlen, Verkehrssituationen, Migranten, Minderheiten bieten sich in besonderer Weise an. So wurde in Saarbrücken ein Holocaust-Mahnmal mit einer Palästina-Flagge bemalt. In Berlin wurden Häuser von Juden mit Davidssternen markiert. Synagogen werden zur Zielscheibe. In Köln schreibt jemand, Muslime seien Abschaum und Sozialparasiten.  In einem Hamburger Park greifen zwei Männer eine Muslimin mit Kinderwagen an, schlagen sie krankenhausreif und reißen ihr das Kopftuch runter. In Bielefeld steht auf rechtsradikalen Flugblätter in Briefkästen von Migranten: „Asylanten und Flüchtlinge und Migranten und Muslime und Nigger – in den Ofen!“

Ein Fußballspieler muss nach einem wichtigen verlorenen Spiel „Zurück in den Dschungel“, untermalt mit Affenbildern, lesen. Einer farbigen Wahlkandidatin wird zugerufen: „Ihr seid keine Menschen“.
Eine Autofahrerin, die ein wenig rangiert, muss sich anhören: „Du alte Fregatte, wo hast du denn deinen Führerschein gewonnen“. Beim Streit um einen Parkplatz wird ein Kontrahent handgreiflich.
Wahlplakate werden mit NS-Symbolen beschmiert und heruntergerissen. Wahlhelfer und Kandidaten werden beschimpft, mit Gegenständen beworfen und angegriffen, manchmal sogar ernsthaft verletzt.
Von Messer- oder Attacken mit anderen Mitteln wird fast täglich berichtet.

Auf eine Behinderteneinrichtung wird ein Stein geworfen mit der Aufschrift „Euthanasie ist die Lösung“.
Häusliche Gewalt erreicht neue Höhe(Tief)punkte. Mittlerweile ist es offenkundig, dass die Coronaepedemie mit ihren Maßnahmen beträchtlich zu Verunglimpfungen und psychischen Beeinträchtigungen geführt hat. Die Zahl der Armen ist immens. Für manchen ist die Tafel letzte Basis zum Überleben. Immer mehr Menschen sind wohnungs- und obdachlos. Die Krise der kapitalistischen Gesellschaft wird manifest.

Tora
Die Tora wird meistens als Gesetzessammlung gekennzeichnet. Das hat dazu geführt, dass christliche Theologen einen Gegensatz von Gesetz und Evangelium gesehen haben. Wenn Tora als Weisung charakterisiert wird, wird ihre Bedeutung neu sichtbar.

Nach dem Rückblick auf den Zug des Volkes Israel in das Gelobte Land folgt die Verkündigung des Gesetzes, der Weisung Gottes, die ein Leben des Volkes in Gemeinschaft mit Gott und untereinander in dem Land, in das sie nun einziehen werden, um es in Besitz zu nehmen, erst möglich machen. Die Tora ist der Weg, nach der Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten nicht wieder in Knechtschaft zu geraten. Wenn das Volk sich nicht an diese Gebote hält, wird es das Land verlieren, es wird Unfrieden im Volk geben und der Bund mit Gott wird gebrochen. Wenn aber das Volk der Weisung Gottes treu bleibt, wird es leben. Die Weisung Gottes und Ihre Befolgung zeichnet Israel aus.

Dt 4, 1ff
1 Und nun, Israel, hör auf die Gesetze und Rechtsentscheide, die ich euch zu halten lehre! Hört und ihr werdet leben, ihr werdet in das Land, das der HERR, der Gott eurer Väter, euch gibt, hineinziehen und es in Besitz nehmen. 2 Ihr sollt dem Wortlaut dessen, worauf ich euch verpflichte, nichts hinzufügen und nichts davon wegnehmen; ihr sollt die Gebote des HERRN, eures Gottes, bewahren, auf die ich euch verpflichte. 3 Ihr habt mit eigenen Augen gesehen, was der HERR wegen des Baal-Pegor getan hat: Jeden, der dem Baal-Pegor nachfolgte, hat der HERR, dein Gott, in deiner Mitte vernichtet. 4 Ihr aber habt euch am HERRN, eurem Gott, festgehalten und darum seid ihr alle heute noch am Leben.

5 Siehe, hiermit lehre ich euch, wie es mir der HERR, mein Gott, aufgetragen hat, Gesetze und Rechtsentscheide. Ihr sollt sie innerhalb des Landes halten, in das ihr hineinzieht, um es in Besitz zu nehmen. 6 Ihr sollt sie bewahren und sollt sie halten. Denn darin besteht eure Weisheit und eure Bildung in den Augen der Völker. Wenn sie dieses Gesetzeswerk kennenlernen, müssen sie sagen: In der Tat, diese große Nation ist ein weises und gebildetes Volk. 7 Denn welche große Nation hätte Götter, die ihr so nah sind, wie der HERR, unser Gott, uns nah ist, wo immer wir ihn anrufen? 8 Oder welche große Nation besäße Gesetze und Rechtsentscheide, die so gerecht sind wie alles in dieser Weisung, die ich euch heute vorlege?

Hören und Tun
Damit die Tora dem Leben dient, muss ihre Weisheit gehört und rezipiert werden. So wird es im "Schma Israel" gefordert: „Höre, Israel! Der Herr, unser Gott, der Herr ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Und diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen.  Du sollst sie deinen Kindern wiederholen. Du sollst sie sprechen, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst.“

Der Prophet Samuel sagt zu Saul: „Hat etwa der Lebendige ebenso Gefallen an Brand- und Schlachtopfern wie am Hören auf die Stimme des Lebendigen? Siehe Hören ist besser als Opfern, Hinhören ist besser als das Fett von Widdern.“

Die Tora soll es ermöglichen, die Befreiung aus „Ägypten“ so zu leben, dass die Knechtschaftsverhältnisse sich nicht wiederholen. Sie zielt darauf, das Zusammenleben des Volkes auf der Basis seiner Gottesbeziehung gedeihlich zu gestalten wie es etwa auch in den 10 Geboten deutlich wird. Sie zielt vor allem darauf, dass die Armen, die Witwen und Waisen aber auch die Fremden nicht dem Verderben preisgegeben werden. In veränderten Zeiten werden die Regeln zum Schutz der Armen in der Tora immer neu angepasst. Dazu ist es notwendig, immer wieder hinzuhören oder wie es im „Höre Israel“ heißt, sie so festzuhalten, dass ihre Weisungen auf dem Herzen geschrieben sind. Wir können nicht oft genug lesen, hören und bedenken. Bei Jakobus wird das in der 2. Lesung so formuliert: „Wandelt nach dem Wort, hört es nicht nur an.“
Für eine gespaltene und aggressive Gesellschaft wäre es notwendig und hilfreich, die Tora für die Gegenwart zu erschließen. Auch wenn die Bibel für viele keine Orientierung ist, wäre die Grundbotschaft heilsam: Beim Propheten Micha heißt es: „Es ist dir gesagt worden Mensch, was gut ist und was Gott (JHWH) von dir erwartet. Nichts anderes al dies: Recht tun, Güte und Treue lieben, in Demut den Weg gehen mit deinem Gott“. Güte statt Hass, Gerechtigkeit statt Ungleichheit stärken eine Gesellschaft, machen sie lebensfähig.
Der Rabbiner Jeremy Milgrom führt in der pax_zeit 2_2024 zum Krieg folgende talmudische Betrachtung an: „Barmherzig, sanftmütig und hilfsbereit zu anderen zu sein, sind die Eigenschaften, die wir Juden anstreben, und wenn die Menschen das Gegenteil tun, wenn sie grausam, arrogant und hasserfüllt sind, wie können wir Juden sein.“ Die Initiatoren des Protests „Rabbis for human rights“ in Israel kennzeichnen diesen so: „Angesichts des Hasses reagieren wir mit Liebe. Angesichts der Gewalt reagieren wir mit Frieden. Angesichts der Macht reagieren wir mit Hoffnung.“ Was Milgrom für Juden anmahnt oder die Rabbis wollen, darf man getrost auf andere menschliche Gesellschaften, auch auf unsere, anwenden.

Markus 7, 1ff
1 Die Pharisäer und einige Schriftgelehrte, die aus Jerusalem gekommen waren, versammelten sich bei Jesus. 2 Sie sahen, dass einige seiner Jünger ihr Brot mit unreinen, das heißt mit ungewaschenen Händen aßen. 3 Die Pharisäer essen nämlich wie alle Juden nur, wenn sie vorher mit einer Handvoll Wasser die Hände gewaschen haben; so halten sie an der Überlieferung der Alten fest. 4 Auch wenn sie vom Markt kommen, essen sie nicht, ohne sich vorher zu waschen. Noch viele andere überlieferte Vorschriften halten sie ein, wie das Abspülen von Bechern, Krügen und Kesseln. 5 Die Pharisäer und die Schriftgelehrten fragten ihn also: Warum halten sich deine Jünger nicht an die Überlieferung der Alten, sondern essen ihr Brot mit unreinen Händen? 6 Er antwortete ihnen: Der Prophet Jesaja hatte Recht mit dem, was er über euch Heuchler sagte, wie geschrieben steht: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir. 7 Vergeblich verehren sie mich; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen. 8 Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Menschen. 9 Und weiter sagte Jesus: Sehr geschickt setzt ihr Gottes Gebot außer Kraft, um eure eigene Überlieferung aufzurichten.[1] 10 Denn Mose hat gesagt: Ehre deinen Vater und deine Mutter! und: Wer Vater oder Mutter schmäht, soll mit dem Tod bestraft werden. 11 Ihr aber lehrt: Wenn einer zu seinem Vater oder seiner Mutter sagt: Korbán - das heißt: Weihgeschenk sei, was du von mir als Unterstützung erhalten solltest -, 12 dann lasst ihr ihn nichts mehr für Vater oder Mutter tun. 13 So setzt ihr durch eure eigene Überlieferung Gottes Wort außer Kraft. Und ähnlich handelt ihr in vielen Fällen. 14 Dann rief er die Leute wieder zu sich und sagte: Hört mir alle zu und begreift, was ich sage! 15-16 Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein. 17 Er verließ die Menge und ging in ein Haus. Da fragten ihn seine Jünger nach dem Sinn dieses rätselhaften Wortes. 18 Er antwortete ihnen: Begreift auch ihr nicht? Versteht ihr nicht, dass das, was von außen in den Menschen hineinkommt, ihn nicht unrein machen kann? 19 Denn es gelangt ja nicht in sein Herz, sondern in den Magen und wird wieder ausgeschieden. Damit erklärte Jesus alle Speisen für rein. 20 Weiter sagte er: Was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein. 21 Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, 22 Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft. 23 All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein.

Der Wille Gottes
Der Abschnitt des Markusevangeliums spricht in die Situation des Zusammenlebens der frühen christlichen Gemeinden mit Mitgliedern aus dem Judentum und nichtjüdischer (heidnischer) Vergangenheit. Die Gemeinden stehen vor der Frage, welche Rolle spielt die Tora in diesem Miteinander. Jesu Interpretation der Tora macht dieses Miteinander möglich. Seine Interpretation Jesus verdeutlicht den Kern der Tora, die Gottes- und Nächstenliebe. Das Gebot der Elternliebe verdeutlicht das. Nicht die Erfüllung zahlreicher Vorschriften sind entscheidend sondern der Zustand des Herzens. Wenn es böse ist, entspringen aus ihm böse Gedanken und Handlungen, die hier durch einen damals üblichen Lasterkatalog belegt werden.

Die Schlaglichter am Anfang zum Zustand unserer Gesellschaft können einen Lasterkatalog der Gegenwart ergeben. Einsamkeit, Ichbezogenheit, Ellbogenmentalität, Verachtung anderer, Menschenfeindlichkeit, verbale und handfeste Angriffe sind markante Kennzeichen einer Gesellschaft, die aus den Fugen geraten ist.
Wenn wir die Weisung der Tora für ein gedeihliches, gerechtes Miteinander und damit Gottes Willen ernst nehmen wollen, müssen wir an die Wurzel für diese Verhaltensweisen. Die Knechtschaft der kapitalistischen Verhältnisse prägt uns bis ins Innere. Die Tora gibt uns die Chance, das zu erkennen, und nach Befreiung  zu suchen.
Huub Oosterhuis
Gesegnet Menschen, die gut sind,   
die Hand, die nicht schlägt,             
der Mund, der nicht verrät,          
der Freund, der seinen Freund nicht verleugnet.

Gesegnet die Barmherzigen,   
die Offenen und Liebenswürdigen,    
mit denen man gut auskommt.  
Gesegnet, die einander bewahren,          
trösten, weiterhelfen und die sich miteinander vertragen.