Russland - unser Feind oder Partner?
02. Dez 2019
pax christi griff ein
heißes Eisen auf, das am Dienstagabend auf großes Interesse stieß - ca. 90
Gäste waren der Einladung in den Lesesaal der Stadtbücherei Münster gefolgt.
Der Referent des Abends, Andreas Zumach, ist Schweiz-und UNO – Korrespondent
für die Tageszeitung (taz) und Träger des Göttinger Friedenspreises 2009. Als
Journalist war er hautnah dabei, als vor 30 Jahren die Berliner Mauer fiel und
plötzlich auch eine friedliche Welt und eine kollektive Sicherheitsordnung in
Europa eine realistische Option war, zumal der frühere Staatspräsident der
Sowjetunion, Michail Sergejewitsch Gorbatschow, die Hoffnung auf ein
gemeinsames „Haus Europa“ zum Ausdruck gebracht hatte. In Münster ließ Zumach
in seinem engagierten Vortrag bei den Zuhörer*innen durch seine Schilderung der
Begegnung mit den politisch Mächtigen der damaligen Zeit fast den Eindruck
entstehen, als würden sie selbst mit dem amtierenden deutschen Außenminister
Hans-Dietrich Genscher im Flieger nach Ottawa sitzen. Dort trafen im Februar
1990 die Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, der DDR, Frankreichs,
Großbritanniens, der UdSSR und der USA bei einem KSZE-Treffen zusammen und
beschlossen die Aufnahme von Gesprächen über die „äußeren Aspekte der
Herstellung der deutschen Einheit“.
Der gebürtige Kölner
Zumach hatte in der westfälischen Friedensstadt ein Heimspiel, denn nur eine
Frau im voll besetzen Saal hielt Russland für keinen geeigneten Partner für
eine Zusammenarbeit mit Deutschland. Diese wiederum ist für den
Menschenrechts-Aktivisten eine notwendige Voraussetzung für das friedliche
Zusammenleben der Nationen.
Andreas Zumach,
Friedensaktivist, Journalist und Publizist, erinnerte zu Beginn seines Referats
an wichtige historische Ereignisse der deutsch-russischen Geschichte der
vergangenen 250 Jahre. Er unterstrich, dass der Westen immer nur so lange mit
Russland kooperierte, wie es seinen Interessen diente. Bei aller Kritik an
heutigen Menschenrechtsverletzungen in Russland, die er ausdrücklich
missbilligte, habe aus seiner Sicht Deutschland aus drei Gründen eine besondere
Verantwortung gegenüber Russland: Zuerst nannte Zumach den verbrecherischen
Überfall auf Polen und später die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, der
insgesamt 60 Millionen Menschenleben, darunter allein über 26 Millionen in der
UdSSR (den größten Blutzoll zahlte die damalige Sowjetrepublik Ukraine),
forderte. Als Zweites führte er den Siebenjährigen Krieg an, als von 1756 bis
1763 Preußen mit Großbritannien / Kurhannover auf der einen und der
kaiserlichen österreichischen Habsburgermonarchie, Frankreich und Russland
sowie dem Heiligen Römischen Reich auf der anderen Seite sich bekämpften. Alle
europäischen Großmächte jener Zeit waren militärisch involviert. Drittens
führte Zumach an, dass die mit Abstand meisten Atomsprengköpfe weiterhin in
Europa, im Territorium zwischen dem
„Atlantik und dem Ural“, stationiert waren und sind.
Er selbst habe rund um
den Mauerfall große Hoffnungen auf die kollektive internationale KSZE gesetzt,
in der 35 Staaten aus beiden Blöcken und auch Blockfreie in Europa eng
kooperierten. „Es gab tolle Pläne!“ Zumach unterstrich, dass heute niemand mehr
ernsthaft daran zweifeln könne, dass Anfang Februar 1990 zunächst der amerikanische Außenminister
James Baker und acht Tage später auch Bundeskanzler Helmut Kohl und
Außenminister Hans-Dietrich Genscher in Moskau versprochen haben, dass es keine
Osterweiterung der NATO geben würde. Für Kohl sei die KSZE „das Herzstück der
europäischen Architektur“ gewesen. Bekanntermaßen wurde dieses Versprechen vom
amerikanischen Präsidenten Georg Bush (Vater), der „Verlierern keine Geschenke
machen wollte“, nicht geteilt und auf Wunsch der an Russland grenzenden Staaten
später auch gebrochen.
Anschließend widmete
sich Andreas Zumach der aktuellen Situation, wobei er den Konflikt zwischen der
Ukraine und Russland in den Mittelpunkt stellte. Er sei von Beginn an ein
Gegner der auf amerikanisches Betreiben verhängten Sanktionen gegen Russland
gewesen, denn diese hätten zwar die russische Wirtschaft geschädigt aber
voraussehbar nicht zu einer Veränderung von Putins Politik in der Ukraine
beigetragen. Unter Verweis auf öffentlich nahezu nicht kritisierte
Völkerrechtsverletzungen des Westens (unter anderem nannte er den Luftkrieg der
NATO zur Abspaltung des Kosovo von Serbien, den Irak-Krieg von 2003 oder die
jüngste Anerkennung der illegalen
israelischen Siedlungen im völkerrechtswidrig besetzten Westjordanland
durch die Trump-Administration) monierte Zumach die doppelten Standards
der westlichen Reaktionen auf die
Annexion der Krim durch Russland. Er sieht aber in der unter dem neuen
ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj begonnenen Wiederaufnahme der
Gespräche mit Moskau eine Entwicklung, die ihm Hoffnung mache und vorsichtige
Zuversicht gäbe. Die jüngste Rückgabe der ukrainischen Kriegsschiffe durch
Russland, die Umsetzung der Minsk-Vereinbarung über einen Gefangenenaustausch
sowie die Einrichtung einer Sicherheitszone (Truppenentflechtung) im Donbass nannte
er als Beispiele. Er äußerte die Hoffnung, dass beim kommenden Treffen der
Regierungschef*innen aus der Ukraine, aus Russland, aus Deutschland und aus
Frankreich am 9. Dezember in Paris noch weitergehende Deeskalationsschritte
vereinbart und dann auch möglichst bald umgesetzt werden.
Für erstrebenswert hielt Zumach die Stationierung von UNO-Blauhelmsoldaten oder zumindest robusten Polizeiverbänden aus an dem Konflikt in keiner Weise beteiligen Staaten (Brasilien, Indien, etc.) im Donbass. Der Konflikt über die Krim müsse durch ein zwischen Moskau und Kiew einvernehmliches Verfahren beigelegt werden, etwa durch eine von der UNO und/oder der OSZE kontrollierte neue Abstimmung über die Zukunft der Krim. Dabei müsse auf dem Abstimmungszettel auch die Option eines Verbleibs der Krim in der Ukraine, allerdings mit einem möglichst weitgehenden kulturellen, administrativen und finanziellen Autonomiestatus gegenüber der Zentralregierung in Kiew stehen.
Die Moderation des
Abends übernahm Maria Buchwitz von pax christi. In der abschließenden
Diskussion kamen viele Nachfragen, die Zumach bis auf die Diskussion mit den
Befürwortern der Zugehörigkeit der Krim zu Russland, zur Zufriedenheit der
Nachfragenden klären konnte.
Aus dem Nähkästchen oder
korrekt gesagt aus Hintergrundgesprächen in Berlin und anderen Regierungssitzen
plauderte Andreas Zumach, als er verdeutlichte: „Regierungsverantwortliche
sprechen öffentlich noch von der möglichen Aufnahme der Ukraine in die NATO
oder auch die EU. Tatsächlich gehen sie aber davon aus, dass dies in den
kommenden 40 Jahren nicht möglich sein wird.“
Zudem verdeutlichte der
Publizist, dass die treibende Kraft hinter der Osterweiterung der NATO – neben
diesen Staaten selbst – die US-amerikanische Rüstungsindustrie gewesen sei.
Diese wollte ihre Waffen an die neuen NATO-Mitglieder aus Osteuropa verkaufen.
Seine Hoffnungen auf eine friedliche Welt beruhe aber nicht allein auf den
Regierungen: „Dazu brauchen wir eine engagierte Zivilgesellschaft, die
friedenspolitisch und völkerverbindend aktiv ist – auch zum Beispiel in Polen.“
Er verwies auf die schwierige Situation der Friedensbewegung in Polen und
äußerte die Hoffnung, dass gerade eine Friedensbewegung wie pax christi, die
viele Kontakte in das Land hat, diese nutzen könne, um einen positiven Einfluss
in Richtung Gesprächsbereitschaft mit Russland auszuüben.
Münster, 26. 11. 2019 Werner Szybalski