Papst-Johannes XXIII-Preis 2025 an den Schwesternkonvent in Esterwegen
22. Sep 2025
Der pax christi Diözesanverband Münster verlieh zum achten Mal seit 2011 den Papst-Johannes XXIII-Preis, der Menschen und Gruppen würdigt, die sich in besonderer Weise um die Weiterführung und Aktualisierung der Anliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils bemühen und der Friedensliebe und Menschenfreundlichkeit von Papst Johannes XXIII. ein „Gesicht in der Gegenwart“ geben.
In diesem Jahr entschied sich der Preisbeirat für den kleinen Schwesternkonvent der Mauritzer Franziskanerinnen aus Münster. Seit 2007 bieten sie sich im ehemaligen Konzentrationslager Esterwegen, der „Hölle im Moor“, mit ihrer „absichtslosen Präsenz“ an, Hörende und mit den Besuchern gemeinsam Fragende und Suchende zu sein. Sie halten das Erinnern und Gedenken an diesem Ort und an die anderen Konzentrationslager im Emsland hoch. Neben der Gedenkstätte befindet sich in der ehemaligen Verwaltung der Bundeswehr das unscheinbare Kloster, das durch ein gewölbtes Tor aus Holz zu betreten ist. Die Schwestern verstehen sich als „Zeuginnen der Zeugen“, die weitersagen, wie es wirklich gewesen ist. Mit ihrer Präsenz wollen sie sich nicht aufdrängen und auch niemanden zu vereinnahmen suchen; sie wollen einem Respekt Ausdruck geben, der den Opfern gilt, die hier gelitten haben – unabhängig von deren weltanschaulichen Überzeugungen. So wird das ehemalige Konzentrationslager auch heute zu einem „gefährlichen Erinnerungsort“, der Begegnung ermöglicht und existentiell wachrüttelt. Es entstehen Dialoge mit der Vergangenheit, die die Gegenwart reflektieren und zur persönlichen Standortbestimmung herausfordern.
In der Begründung des Preisbeirats heißt es: „Angesichts der von Vorurteilen, Diskriminierungen aller Art, Gewaltbereitschaft und Kriegen geprägten Gesellschaft, leisten die Schwestern einen unauffälligen, aber umso wichtigeren Beitrag zur Erinnerungskultur.“ Das Ungewöhnliche dieses Ortes spiegelt sich auch im „Raum der Sprachlosigkeit“, der besonderen Kapelle und dem Gedenkraum wider, die vom Krefelder Künstler Klaus Simon einfühlsam als ein Gesamtkunstwerk gestaltet worden sind. Das Dasein und die Ansprechbarkeit der Schwestern tragen dazu bei, die Spuren von Unrecht, Leid, Verwundung nicht nur im Lager und in den Symbolen des Klosters zu entdecken, sondern auch in uns selber. In besonderer Weise werden dadurch die Anliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils, wie sie in der Konstitution Gaudium et Spes einen Ausdruck gefunden haben, überzeugend verheutigt und konkret gelebt.
Preisverleihung am 20. September in der Gedenkstätte Esterwegen
Die Preisverleihung fand am 20. September in der Gedenkstätte Esterwegen statt. Nach dem musikalischen Auftakt mit Friedensliedern von Peter Junk, Akkordeon, und Walter Börgel, Gitarre, begrüßte Maria Buchwitz, Diözesanvorsitzende des pax christi DV Münster, die Preisträgerinnen und die rund 60 Gäste aus Politik, Kirche und Gesellschaft.
Im Anschluss stieg Stefan Querl, Leiter der Villa ten Hompel in Münster, mit dem frei vorgetragenen Gedicht „Das Phänomen“ von Hanns Dieter Hüsch in seine beeindruckende Laudatio zu Ehren der Mauritzer Franziskanerinnen im Kloster Esterwegen ein. Hier reflektierte er die nun seit beinahe 20 Jahren stattfindende Arbeit der Schwestern und zeigte sich beeindruckt durch seine persönlichen Begegnungen mit den Schwestern. Querl betonte die Wichtigkeit ihrer Arbeit in der heutigen Zeit und dass stets die Opfer im KZ-Esterwegen im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen.
Es folgten erneut Friedenslieder, u.a. das Lied „Die Moorsoldaten“, das 1933 von Häftlingen des Konzentrationslagers Börgermoor bei Papenburg im Emsland geschrieben wurde, bevor die feierliche Preisverleihung erfolgte. Der Diözesanvorstand von pax christi Münster übergab den Preis in Form einer Büste von Papst Johannes XXIII sowie einer Urkunde an die Schwestern des Konvents.
Nach den Dankesworten der Preisträgerinnen durch die Provinzoberin Sr. M. Diethilde Bövingloh folgte eine Gesprächsrunde mit Sr. Birgitte (Schwesternkonvent Esterwegen), Theo Paul (ehemaliger Generalvikar des Bistums Osnabrück), Dr. Sebastian Weitkamp (Leiter der Gedenkstätte Esterwegen) und Carolin Meibers, (bis 08/2025 FSJlerin in der Gedenkstätte Esterwegen) unter der Leitung von Hermann Flothkötter, pax christi DV Münster, in welcher das Thema „Erinnerungskultur heute“ differenziert aufgegriffen wurde.
Theo Paul, der sich stark für die Gründung des Klosters vor Ort einsetzte, betonte die Verantwortung der Kirche für die Erinnerungsarbeit und das Gedenken an die Opfer. Die Kirche habe während der NS-Zeit viel Schuld auf sich geladen, weil sie bis auf sehr wenige Ausnahmen geschwiegen habe, als zahllose Menschen wegen ihres Glaubens, ihrer Weltanschauung, ihrer Veranlagung, ihrer Volkszugehörigkeit oder ihrer politischen Überzeugung verfolgt und zu Tode gequält wurden. Das Kloster in Esterwegen sorge mit dafür, dass die Opfer ein Gesicht bekommen und dass der Blick auf die Täter und die Strukturen, die solche Verbrechen möglich gemacht haben, nicht vergessen werde.
Dr. Sebastian Weitkamp sprach von „Erinnerungsarbeit“ als dem dunklen Teil unserer Geschichte von Verbrechen und Verbrechern. Im Mittelpunkt dieser Arbeit haben stets die Opfer zu stehen, auch wenn die Täter benannt werden müssen. Die Offenheit für den Dialog mit den Angehörigen der Opfer sei ein wichtiger Bestandteil der Erinnerungsarbeit; denn die Traumata aus jener Zeit reichen bis heute in die Familien hinein. Eine Migrationsgesellschaft wie die unsrige, deren Mitglieder häufig eigene Erfahrungen von Gewalt mit nach Deutschland bringen, müsse aktiv mitgenommen werden in die Erinnerungsarbeit; Hier stellen sich besondere Herausforderungen durch die Digitalisierung von Leben und Alltag. Insbesondere wies er hin auf Verharmlosungstendenzen durch die im Umlauf befindlichen Narrative bzgl. der Erfahrungen im Nationalsozialismus und die Notwendigkeit, sinnvolle und leicht zugängliche APPs zu installieren. Somit sei Erinnerungsarbeit stets ein dynamischer Prozess, der ständiger Beobachtung und Neukonzeptionierung unterliege. Eine solche Erinnerung sei nötig, die es schaffe, dass Menschen sich mit ihren Lebensentwürfen beschäftigen und bedrohliche und skandalöse Entwicklungen in Gesellschaft und Politik zu durchschauen lernten.
Carolin Meibers berichtete von ihrer Arbeit als FSJ-lerin in der Gedenkstätte, u.a. von Führungen durch die Gedenkstätte, an denen sehr unterschiedliche Gruppen aus der Gesellschaft teilnehmen. Hier stellte sie diejenigen als besonders wichtig heraus, deren Teilnehmende bislang keinen Bezug zu Gedenk- und Erinnerungsorten hätten. Sie machte auf die Zeitdistanz aufmerksam, da heute kaum noch Zeitzeug:innen berichten könnten, und betonte gleichermaßen die Wichtigkeit und die Gefahren der Sozialen Medien für die Erinnerungsarbeit, um vor allem junge Menschen präventiv zu erreichen.
Sr. Birgitte ergänzte mit Bezug auf aktuelle Zeitzeugenschaft, dass sie und andere nun als „Zeuginnen der Zeugen“ fungieren und die Geschichten von Leid und Tod somit weitergeben und an die Widerstandskraft von Menschen erinnern.
Nach Abschluss der Preisverleihung stärkten sich die Gäste bei Getränken und einem Imbiss in der Cafeteria der Gedenkstätte und tauschten ihre Gedanken aus. Viele nutzten die Gelegenheit zur Besichtigung des Klosters sowie zur Teilnahme an einer Kurzführung über das Gelände des ehemaligen KZ-Esterwegen, auf dem die heutige Gedenkstätte Esterwegen seit 2011 Erinnerungsarbeit leistet.
Begrüßen durften wir auf der Preisverleihung die sechsköpfige Reisegruppe von Fahrradfahrer*innen, die sich auf einer 3-tägigen pax christi-Fahrradfriedensfahrt durch den Hümmling befand. Der inhaltliche Schwerpunkt: das Gedenken an die Opfer von Gewaltherrschaft und Krieg. Gelegenheiten dazu gibt es im Hümmling leider zahlreiche.
An dieser Stelle sei ein besonderer Dank an die Verantwortlichen und Mitarbeitenden der Gedenkstätte ausgerichtet, welche uns sowohl ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellten als auch bei der Vorbereitung tatkräftig unterstützten.