Kossen: Arbeitsmigranten sind betrogene Verlierer
30. Mrz 2020
Im
Rahmen der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus ist die Arbeitnehmer-Freizügigkeit
innerhalb der EU stark eingeschränkt.
Konkret heißt das: Der Nachschub an
frischen Arbeitskräften aus Ost- und Südosteuropa bleibt aus. Außer der
Landwirtschaft werden zurzeit auch Fleischindustrie, Paketdienste,
Ausstallkolonnen, Reinigungsgewerbe und Privathaushalte nicht mehr mit billigen
Arbeiterinnen und Arbeitern „beliefert“. Der Menschenhandel ist zum Stillstand
gekommen. Und schon gibt es Forderungen, die Restriktionen zu lockern. Der
Markt verlangt nach billigem Fleisch, Gratispaketen und billiger
24-Stunden-Pflege. Im Zweifel sollen die, die da sind, mehr arbeiten dürfen.
Peter Kossen warnt: „Kaum vorhandene Minimalstandards in Sachen Arbeitsschutz,
Entlohnung und Wohnung dürfen jetzt nicht noch unterlaufen werden. Die verbliebenen
Migranten müssen davor beschützt werden, dass man sie noch mehr als bisher
auspresst und verschleißt, um sie dann wie Maschinenschrott zu entsorgen.“ Das
niedersächsische Sozialministerium habe Kontrollen angeordnet. Bisher hätten
Kontrollen zu keiner erkennbaren Verbesserung der Wohn- und Arbeitssituation
geführt.
Die aktuelle Gefahr ließe jetzt keinen Aufschub mehr zu. „Der
Corona-Pandemie sind die von unmenschlicher Arbeit ausgelaugten und häufig
gesundheitsschädlich untergebrachten Migranten schutzlos ausgeliefert. Dass
zunehmend Kinder mitbetroffen sind, verschärft das Problem und macht die Lösung
noch dringlicher.“ Die Arbeitsmigranten seien auch gleich die ersten, die bei
Schwierigkeiten des Unternehmens auf der Straße stünden. „Wer zahlt für sie,
wenn sie in Quarantäne gehen müssen?“, fragt Kossen. „Wenn es keiner tut,
bleibt den Betroffenen nichts weiter übrig, als arbeiten zu gehen.“
Jetzt zeige
sich, was alle wüssten, dass die Geisterarmee am Rande der Gesellschaft aus
sehr realen Menschen bestehe, aus EU-Mitbürgern, denen Würde und Gerechtigkeit
bei uns nicht selten vorenthalten werden. „Lange haben Wirtschaft, Politik und
Gesellschaft über schwere Menschenrechtsverletzungen unter dem Deckmantel der
Arbeitnehmerfreizügigkeit hinweggesehen. In der Pandemie ist es vielleicht
schon zu spät, die modernen Sklaven vor der Ansteckung und vor schweren
Krankheitsverläufen jetzt noch schützen zu wollen. So haben sie doppelt
verloren, sind betrogene Verlierer.“
Kossen fragt: „Will man einfach zusehen, wie Lücken geschlossen werden und die Ausbeutungsmaschinerie für billiges Fleisch weiterläuft oder ist jetzt nicht der Zeitpunkt, die Räder anzuhalten und den Systemwechsel herbeizuführen?“ Das System einer Wertschöpfung, die weitgehend auf der Ausbeutung von Arbeitsmigranten aufgebaut ist, sei krank und mache krank. „Die Abkehr von diesem kranken System ist längst überfällig!“ Nur Kontrollen und gesetzlich erzwungene Mindeststandards von Leben und Arbeiten in Würde und Gerechtigkeit könnten die Wende herbeiführen. Für viele Betroffene werde das aber bereits zu spät sein!
Lengerich, 28.03.20 Peter Kossen